Die Grabsitten des 6. Jh. v. Chr. in der Sibaritide anhand der Grabinventare der archaischen Nekropole von Francavilla Marittima (IT) (Arbeitstitel)

Gefässe beim Studium
Tomba 27+29 in situ

Einleitung
Das Eintreffen von griechischen Kolonisten in Süditalien ab dem 8. Jh. v. Chr., welche sich vor allem entlang der Küste niederliessen, kennzeichnete den Beginn eines wichtigen soziokulturellen Wandels in der Region. Dabei trafen andersartige Kulturausprägungen aufeinander, die im Laufe der Zeit zu einer neuen kulturellen Identität miteinander verschmolzen. Die wissenschaftliche Ermittlung der Auswirkung von Kulturkontakten und der Bedingung zur Entstehung einer neuen ‚Kulturidentität’ kann im Falle einer schriftlosen Kultur, wie derjenigen des süditalischen Volkes der Oinotrier, nur anhand ihrer materiellen Hinterlassenschaft gewährleistet werden. Die oinotrische Nekropole Macchiabate bei Francavilla Marittima (CS), welche in der Sibaritide (Die Sibaritide schliesst das ganze Gebiet rund um Sybaris (nahe der modernen Stadt Sibari), an der nordöstlichen
Küste Kalabriens mit ein. Dazu gehören sowohl die Ebene wie auch die umliegenden Bergketten.) liegt und seit 2009 ein Forschungsprojekt des Departements Altertumswissenschaften – Fachbereich Klassische Archäologie der Universität Basel ist, bietet sich hierfür als Quelle hervorragend an.

Forschungsgegenstand und Fragestellung
Bei dem kalabrischen Dorf Francavilla Marittima (CS) liegen, ca. 10 km nordwestlich von der antiken Stadt Sybaris entfernt, die Überreste einer indigenen Siedlung der Oinotrier. Diese ist bekannt durch eine Nekropole im Gebiet Macchiabate, zahlreiche Siedlungsstrukturen und die Überreste eines Heiligtums auf dem Plateau Timpone della Motta, dessen Nutzung ab der Bronzezeit bis ins 4. Jh. v. Chr. reicht. Auch als die griechische Kolonie Sybaris um 720 v. Chr. gegründet wurde und aus diesem Grund umliegende Siedlungen verlassen wurden, bestand das Leben in Francavilla fort. Für das 6. Jh. v. Chr. ist sogar eine Blütezeit der Siedlung zu verzeichnen. Die lange Nutzungskontinuität der Siedlung sowie der Nekropole erlaubt nicht nur einen Einblick in die Auswirkungen der kulturellen Interaktionen auf die materielle Hinterlassenschaft, sondern macht auch den dabei entstandenen sozio-kulturellen Wandel fassbar.
Der Kulturkontakt im Rahmen der Kolonisierung Süditaliens und Siziliens zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen ist Gegenstand einer langandauernden und vielfältigen Forschungsdiskussion. Während der Fokus anfangs vor allem auf den griechischen Kolonien lag und dabei eine ‚hellenozentristische’ Sicht (Mit ‚hellenozentristisch’ wird eine wertende Vorstellung der griechischen Kultur in der Forschung, welche
diese als den einheimischen Kulturen in allen Bereichen überlegen ist, verstanden.) vertreten wurde, wird seit dem Ende des 20. Jh. zunehmend auch der Rolle der einheimischen Kulturen Rechnung getragen. Damit wurde eine Forschungsdebatte angestossen, die bis heute im Fluss ist.


Das im Juni 2018 initiierte und vom SNF finanzierte vierjährige Projekt des Departements Altertumswissenschaften – Fachbereich Klassische Archäologie (Prof. Dr. M. A. Guggisberg) ‚Investigating Colonial Identity: Greek and Native Interaction in Northern Calabria (800–500 BC)’ greift den erwähnten Forschungsdiskurs auf und will mit innovativen und vielfältigen Forschungsmethoden, wie archäologischen Ausgrabungen, materialtypologischen Analysen, sowie bioarchäometrischen und osteologischen Untersuchungen von menschlichen Überresten, den Fragen nach ‚Kulturidentität’, Akkulturation und Veränderungen der
ökologischen Faktoren zum Zeitpunkt der griechischen Kolonisierung der Sibaritide nachgehen.


Das Dissertationsprojekt ist Teil des erwähnten Forschungsprojektes und befasst sich, ausgehend von der Befund- und Fundauswertung von etwa 30 Gräbern, welche zwischen 1960 und 1970 von Paola Zancani Montuoro ausgegraben wurden, mit der Rekonstruktion der Bestattungslandschaft im Umfeld von Sybaris in archaischer Zeit. Dazu sollen auch die während der neuen Ausgrabungen zu Tage gekommenen archaischen Gräber soweit wie möglich in die Auswertung miteinbezogen werden. Da der Forschungsschwerpunkt bisher auf
den eisenzeitlichen Bestattungen der Nekropole Macchiabate lag, erfuhren die archaischen Gräber bis anhin keine zusammenhängende Untersuchung. Eine solche bildet somit ein dringendes Desiderat der Forschung. Durch die Analyse der Befunde soll folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie lässt sich der sozio-kulturelle Wandel des 7. und 6. Jh. v. Chr. anhand der Grabsitten von Francavilla definieren? Wie wirkt sich der Akkulturationsprozess auf die Grabinventare der archaischen Periode aus? Kann dabei eine neue ‚Kulturidentität’
festgestellt werden? Wenn ja, wie und ab wann? Wie ist in diesem Zusammenhang das Wiederaufblühen der Nekropole im 6. Jh. v. Chr., nachdem im 7. Jh. v. Chr. die umliegenden Siedlungen verlassen wurden, zu erklären? Welche Bestattungstendenzen lassen sich hierbei in der Funeraltopographie der archaischen Sibaritide fassen?


Ziel und Methodik

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wird das archäologische Material aus den archaischen Gräbern, welche im Museo Archeologico Nazionale della Sibaritide bei Sibari aufbewahrt werden, dokumentiert und gezeichnet. Die daraus gewonnenen Daten gelangen in eine zuvor selbst programmierte Datenbank (Filemaker) und werden mit Hilfe von Objekten aus vergleichbaren Fundstätten der Region ausgewertet. Dabei soll nicht nur von
Publikationen Gebrauch gemacht werden, sondern auch von Museumsbesuchen vor Ort. Die Gräber werden letztlich in einen zeitlichen und typologischen Kontext eingeordnet. Ziel der Doktorarbeit ist es einen Überblick über die Grabsitten der Sibaritide in der archaischen Zeit zu geben und die Nekropole Macchiabate darin einzuordnen. Darüber hinaus soll versucht werden Rückschlüsse auf den Kulturaustausch zu ziehen und dabei die ‚Kulturidentität’ des indigenen Volkes von Francavilla im 6. Jh. v. Chr. nachzuvollziehen. Ferner soll das
Fundspektrum aus den behandelten Gräbern in Bezug auf dessen Typologie und Herkunft erörtert und in Form eines Kataloges dargestellt werden. Schliesslich werden die Ergebnisse der Dissertation auch im generellen Fazit des gesamten Projektes einfliessen und in der Schlusspublikation präsentiert.

Ausgewählte Literatur
• P. Zancani Montuoro, Francavilla Marittima, Necropoli di Macchiabate, Atti e memorie della Società Magna Grecia 18-20, 1977-1979, 7-91
• P. Zancani Montuoro, Francavilla Marittima, Necropoli e ceramico a Macchiabate, zona T (Temparella), Atti e memorie della Società Magna Grecia 21-23, 1980-1982, 7-129
• P. Zancani Montuoro, Francavilla Marittima, Necropoli di Macchiabate, zona T (Temparella continuazione), Atti e memorie della Società Magna Grecia 24-25, 1983-84, 7-110
• G.-J. Burgers, Western Greeks in their Regional Setting. Rethinking Early Greek-Indigenous Encounters in Southern Italy, East and West 3, 2004, 252-282
• M. A. Guggisberg – C. Colombi – N. Spichtig, Basler Ausgrabungen in Francavilla Marittima (Kalabrien). Bericht über die Kampagne 2016, AntK 53–60, 2010–2017
• M. Kleibrink, Oenotrians at Lagaria near Sybaris, a Native Proto-Urban Centralised Settlement. A Preliminary Report on the Excavation of Timber Dwellings on the Timpone della Motta near Francavilla Marittima (Lagaria) Southern Italy, Accordia Specialist Studies on Italy 11 (London 2006)
• F. Quondam, La necropoli di Francavilla Marittima: tra mondo indigeno e colonizzazione greca, in: M. Bettelli (Hrsg.), Prima delle colonie. Organizzazione territoriale e produzioni ceramiche specializzate in Basilicata e in Calabria settentrionale ionica nella prima età del ferro. Atti delle Giornate di Studio, Matera, 20-21 novembre 2007 (Venosa 2009) 139-178
• J. de La Genière, La nécropole de Paladino Ouest, Collection du Centre Jean Bérard 39 (Naples 2012)